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Nazis sind bizarr!

//von Huey //REVOLUTION Nr. 3

Am 6. Dezember haben wir den Nikolaustag traditionsgemäß gefeiert: wir sind nach Neukölln gefahren um einen Naziaufmarsch zu verhindern. („Alle Jahre wieder“, nicht wahr?)

Schon vor dem Ausgang des U-Bahnhofes Rudow standen Bullen, die die Menschen je nach Klamotten, Haarschnitt, und Alter als „Linke“ und „Rechte“ aufgeteilt haben. Die Rechten wurden nach links geschickt und die Linken nach rechts.

Oben versammelten sich über 100 Nazis auf dem Platz. Etwa genau so viele NazigegnerInnen – von den Grünen, der SPD, der PDS, den Gewerkschaften, Antifa- und kommunistischen Gruppen, so wie ganz viele „normale“ EinwohnerInnen Neuköllns – standen rund um den Platz herum.

Aber die mit Abstand größte Gruppe war der sog. „grüne Block“. Die Berliner Polizei war mit 500 Mann – mit Helmen, Körperpanzerung, Schlagstöcken und Pistolen bewaffnet – und Dutzenden Fahrzeugen anwesend. Per Lautsprecher teilten sie mit, ihr Ziel sei nur, „den Frieden zu sichern“ und „die Rechte aller Menschen unabhängig von ihrer politischen Überzeugung“ zu schützen.

Doch falls irgendjemand diese Worte geglaubt hätte – was für antifaschistische AktivistInnen ziemlich schwer vorstellbar ist – zeigte sich bald, auf welcher Seite die grünen Männer wirklich standen. Sie schützten die Nazis hinter einer Reihe von Bullenwagen, aber bei den AntifaschistInnen haben sie Menschen zurückgedrängt, Fahnen beschlagnahmt, Platzverweise erteilt, usw. Die offizielle Gegenkundgebung, die etwa ein Kilometer weiter weg und ganz legal – ja mit einer Genehmigung von der Polizei! – stattfand, wurde eingekesselt; zwischen der Gegenkundgebung und der Demoroute der Rechten standen nicht nur Bullen, sondern auch zwei riesige gepanzerte Wasserwerfer. Damit wollte die Polizei das Demonstrationsrecht der AntifaschistInnen „schützen“!

ES GEHT LOS...

Als die Nazis endlich los marschierten (viel zu spät, nebenbei gemerkt – was ist mit der berühmten deutschen Pünktlichkeit dieser Patrioten?) sah alles relativ normal aus. Es gab eine Mischung aus Opa-Nazis, die wahrscheinlich schon damals Mitglieder der NSDAP waren, und jungen Skinheads. Sie hatten einen Lautiwagen mit Deutschland lobenden Liedern und zahlreichen Deutschlandfahnen.

Den GegendemonstrantInnen ist es gelungen, den Nazizug auf beiden Seiten zu „begleiten“. Also gab es eine enge Kolonne von Nazis, dann eine Kette von Bullen auf beiden Seiten, dann große Mengen von AntifaschistInnen rund herum. Neben den Rufen wie „NAZIS, NAZIS, NAZIS ... RAUS! RAUS! RAUS!“ waren die Sprüche der Rechten kaum zu hören. Nur nach ein paar Hundert Metern waren die Bullen in der Lage, die lauten Linken von der Straße zu fegen, damit die Nazis ungestört weitermarschieren konnten.

ROTE NAZIS?!?

Doch plötzlich sah man ganz vorne im Nazi-Block eine Menge roter Fahnen. Panik brach unter den Bullen aus. Waren irgendwelche Kommis in die Demo hineingedrängt? Würde bald ein Krawall losgehen?!?

Aber nein! Das waren nur die „autonomen Nationalisten“! Das ist eine Gruppe, die versucht, das „Beste“ aus den autonomen und nationalsozialistischen Ideologien zu vereinen – der ultimative Beweis für die kulturelle Vielfalt in unserer großartigen Stadt.

Für all diejenigen, die nicht zwischen links und rechts entscheiden können, gibt es jetzt Mischungen aller Art. Zum Beispiel die „marxistisch-leninistische“ MLPD, die „das Volk“ gegen die „volksfeindliche Politik“ der Regierung mobilisiert mit Sprüchen wie „Wir sind das Volk!“ (Diese MarxistInnen wissen anscheinend nicht, dass „das Volk“ – das von Arbeitslosen bis zu Milliardären reicht – in verschiedenen Klassen aufgeteilt ist!)

Oder die „antifaschistische“ Bahamas, die israelische oder amerikanische Fahnen auf Anti-Kriegsdemos bringt, um ihre Solidarität mit dem US-Imperialismus und der rassistischen Scharon-Regierung in Israel zum Ausdruck zu bringen.

Aber falls das nicht ausreicht, falls manche Leute noch kreativere Mischungen aus revolutionär und reaktionär suchen, gibt es die autonomen Nationalisten. Diese „roten Nazis“ (oder „Faschoautonomen“ oder „linke Rechte“ – einen Einheitsbegriff gibt es anscheinend noch nicht) trugen rote Fahnen, hatten ein Transpi mit den Worten „Freiräume schaffen!“, und riefen Sprüche wie „Hoch die internationale Solidarität!“ und „Gegen Faschismus und Intoleranz!“. Es wäre fast unmöglich gewesen, sie als Faschisten zu erkennen, hätten sie nicht ihr Transpi mit altdeutscher Schrift gemacht. Später in der Demo kam ihre unglaubliche Selbstbeschreibung „Frei, sozial und national!“

Einer von diesen reaktionären Revolutionären hatte sogar ein T-Shirt mit dem Gesicht Che Guevaras an! Wahrscheinlich gefiel ihm Ches Spruch „Patria o Muerte“ (Vaterland oder Tod). Dabei muss er übersehen haben, dass Che, ein gebürtiger Argentinier, in Guatemala, auf Kuba, im Kongo und in Bolivien gekämpft hat, jedoch nie in seinem richtigen „Vaterland“. Für Che galt vielmehr die Regel „Patria es la Humanidad“ (das Vaterland ist die Menschheit).

WIE KÖNNEN SIE BLOSS...

Dies ist nicht das erste Mal, dass Faschos versuchen, wie SozialistInnen auszusehen. Mussolinis Schwarzhemden nannten sich eine „soziale Bewegung“. Die ultrareaktionäre Ideologie Hitlers bezeichnete er als ein National“sozialismus“. Durch die ganze Welt tauchen Faschisten als Demokraten, Republikaner, Ökologisten, Sozialisten, Revolutionäre oder jetzt auch als Autonome auf.

Und was soll das? Faschistische Demagogen haben immer einzelne Begriffe oder Bilder vom Marxismus übernommen, um dann die ganze Stoßrichtung auf den Kopf zu stellen.

Um das einfachste Beispiel zu nehmen, MarxistInnen wie bei REVOLUTION versuchen, alle ArbeiterInnen gegen die Unterdrückung im Kapitalismus zu organisieren, um eine Weltrevolution zu starten und eine klassenlose Gesellschaft aufzubauen – „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“, wie Marx mal sagte.

FaschistInnen reden auch von „Kampf“, „Unterdrückung“, „Revolution“, usw., und versuchen, die militante Organisationsformen der Arbeiterbewegung wie bewaffnete Milizen oder eine disziplinierte Partei zu kopieren. Aber der Feind soll nicht mehr das kapitalistische System sein, sondern „jüdische Weltverschwörungen“, „rückständige Rassen“ oder andere Sündenböcke.

Die Nazis betrachten die Geschichte als Kampf zwischen „ehrenvollen“ und „nicht ehrenvollen“ Nationen. Deshalb versuchen Nazis, die Wut von Arbeitslosen oder verarmten Kleinbürgern gegen JüdInnen, Homosexuelle, Behinderte, ImmigrantInnen, aber vor allem gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung wie Gewerkschaften oder kommunistische Parteien zu richten. Damit verteidigen sie die herrschende Klasse, die in Wirklichkeit die Misere verursacht hat, gegen die die Nazis zu kämpfen vorgeben!

Schon im 19. Jahrhundert stellte der Sozialist August Bebel fest: „Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls.“

LINKE REAKTION

Auf der Neuköllner Demo entstand eine äußerst verwirrende Situation. Die Nazis trugen Palästina-Tücher und riefen: „Viva Viva Palästina!“. Um sie zu provozieren, riefen viele GegendemonstrantInnen: „Lang lebe Israel!“.

Für einen Moment war ich mir nicht sicher, welche Seite reaktionärer war. Auf meiner Seite waren Menschen, die zwar gegen die Nazis demonstrierten, gleichzeitig aber die brutale Besiedlung Palästinas und die systematische Vertreibung und Unterdrückung der PalästinenserInnen unterstützten. Ich bin Unterstützer der International Solidarity Movement, viele der GenossInnen von WORLD REVOLUTION waren in den besetzten Gebieten – und in der Tat hatte ich auch ein Palästina-Tuch an.

Was soll ein armer Kommunist nur tun?

REVOLUTIONÄRE KLARHEIT

Der russische Revolutionär Leo Trotzki hat mal gesagt: „Revolutionäre Politik wäre eine einfache Sache, ginge es nur darum, einen Plus dort zu setzen, wo die Bourgeoisie ein Minus setzt.“ Das bedeutet, wir können nicht einfach immer das Gegenteil von dem sagen, was unsere Feinde sagen.

Wenn die Nazis für „Solidarität mit Palästina“ eintreten, dann müssen wir nicht automatisch für Solidarität mit Israel sein. Stattdessen müssen KommunistInnen für eine revolutionäre Lösung des Nah-Ost- Konflikts agieren – die einzige Lösung, die es geben kann.

Da der israelische Staat die PalastinenserInnen sowie die israelischen ArbeiterInnen unterdrückt – die ersteren durch Vertreibung, Zerstörung von Häusern, Attentate, und Ausgangssperrungen, die letzteren durch Verbietung von Streiks und soziale Kürzungen – müssen sich beide Gruppen zusammenschließen. Durch gemeinsame Gewerkschaften, gemeinsame Proteste und eine gemeinsame revolutionäre Partei hätten sie die Stärke, um den kapitalistischen Staat Israel zu zerschlagen. An seine Stelle würde eine Staatsform treten, in der die JüdInnen und AraberInnen der Region in Frieden zusammenleben können: die sozialistische Arbeiterrepublik Palästina!

INTIFADA

Konkret heißt das, dass wir uns als KommunistInnen mit dem heroischen Kampf der PalästinenserInnen (der Intifada) bedingungslos solidarisieren. Aber nicht aus einem stumpfsinnigen Judenhass, wie die Nazis ihre „Solidarität“ ausdrücken.

Denn wir solidarisieren uns auch mit den ArbeiterInnen und Linken in Israel, wenn diese sich im Kampf gegen den Staat befinden – z.B. mit den illegalen Streiks im öffentlichen Dienst vor ein Paar Monaten, oder mit dem jungen israelischen Anarchisten, der Ende Dezember auf einer Protestkundgebung gegen die Arpartheid-Mauer von der IDF angeschossen wurde.

Und immer wieder müssen wir die rassistischen Vorurteile auf beiden Seiten denunzieren – gegen die PalästinenserInnen, die „alle Juden ins Meer“ treiben wollen, und gegen die Israelis, die für ein rein jüdisches Großisrael eintreten. Wir wollen weder ein kapitalistisches Israel noch ein kapitalistisches Palästina, sondern ein sozialistisches, bi-nationales Palästina als Teil einer Föderation des Nahen Osten und des gesamten Planeten.

TOD DEM FASCHISMUS!

Als AntifaschistInnen sind wir nicht nur Anti-[alles was Nazis jemals sagen]. Wenn die Nazis sagen, dass sie gegen Kapitalismus sind – was immer wieder vorkommt – dann werden wir nicht für Kapitalismus sein, oder?!?

Die Nazis mögen eine bizarre Politik haben, aber die werden wir nicht stoppen, wenn unsere Politik noch bizarrer wird. Nur mit revolutionärer Klarheit werden wir verstehen, wie jeder Kampf – sei es ökonomisch, national oder politisch – mit dem Kampf für die sozialistische Weltrevolution verbunden werden kann. Und nur dann können wir die Faschisten und ihre reaktionären Ideen von der Straße vertreiben.

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