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"Wer will lernen?"

Warum die Niederlage der Hamburger Primarschule auch eine Niederlage der organisierten ArbeiterInnenbewegung ist

Als bekannt wurde, dass die Hamburger WählerInnen mit 54% gegen die Primarschule, also die Verlängerung der Grundschule auf sechs Jahre, gestimmt hatten, musste Bundesbildungsministerin Schavan sich aussprechen: das Abstimmungsergebnis zeige deutlich, dass die "Bürger das ewige Herumdoktern am Bildungssystem leid sind".

Wahrscheinlich ahnte Frau Schavan nicht, wie recht sie hatte.

Denn die Statistiken zeigen: Je wohlhabender ein Hamburger Stadtteil ist, desto höher war auch Abstimmungsbeteiligung – mit dem bekannten Ergebnis. Das zeigt deutlich, dass hier keine Hebung der allgemeinen Qualität der Bildung motivierend war, sondern ganz handfeste (bürgerliche!) Klasseninteressen.

Das ist nicht weiter überraschend. Die Schule ist immer den Bedürfnissen des Systems, besser: der herrschenden Klasse, angepasst. Da sind auch zaghafteste Versuche, dem selektiven Bildungssystem, das der Klassenspaltung der kapitalistischen Gesellschaft entspricht so etwas ähnliches wie soziale Gerechtigkeit anzubringen weder erwünscht noch erlaubt.

Denn die Basis (die Produktions- und Besitzverhältnisse) bestimmt den Überbau (die Kultur und die Institutionen). Diese Erkenntnis begleitet die VertreterInnen des wissenschaftlichen Sozialismus innerhalb der ArbeiterInnenbewegung seit mehr als hundert Jahren. Und hieraus ergibt sich auch eine Perspektive:

Wir müssen uns die Frage stellen, was das für ein Bildungssystem sein könnte, in dem die Interessen unserer Klasse am besten manifestiert wären. Das hieße nämlich ein Bildungssystem, das nicht nur einzelnen, privilegierten Menschen aus dem Proletariat den Zugang zu exzellenter Bildung ermöglichen würde, sondern großen Massen! Also: wir müssten die Selektion abschaffen, den Zugang zu Bildung und Kultur kostenlos machen etc.

Natürlich wäre es Illusion zu glauben, allein diese Reformen würden die Probleme oder gar das System als solches beseitigen. Aber sie wären als solche progressiv, weil richtungsweisend, denn sie würden 1) die Lage der ArbeiterInnen verbessern und 2) die Privilegien der Bourgeoisie infrage stellen. Zudem kommt, dass die Erkämpfung dieser Maßnahmen ein willkommene Kampfschule wäre, da auf die reformistischen Apparate und den Staat sowieso kein Verlass ist.

Die Niederlage der Primarschulreform ist eine Niederlage der organisierten ArbeiterInnenbewegung. Als 2008 die Hamburger Bürgerschaft gewählt wurde, zogen mit SPD, GAL und Linkspartei gleich drei Parteien in das Parlament ein, die die Einheitsschule unterstützten, beziehungsweise in denen eine große Unterstützung dafür herrschte. Einzig die CDU wollte am dreigliedrigen System festhalten. Das nun die GAL ihre "Ideale" zugunsten einer Koalition mit der CDU schasste, verwundert nicht weiter, dass aber auch SPD und Linkspartei eher miteinander stritten, als zu handeln, ist trotz der leider zur Gewohnheit gewordenen Verrätereien unserer geliebten ReformistInnen immer noch enttäuschend. Da wurde lieber darüber gestritten, wer in der Bürgerschaft ganz links außen sitzen dürfe, ergo: radikaler war!

Aber auch die Gewerkschaften versagten auf ganzer Linie. Der DGB Hamburg investierte einzig und allein in schicke, rote T-shirts und eine ziemlich popelige SchülerInnendemo, die nicht im Geringsten über das Niveau durchschnittlicher Bildungsstreik herauskam. Der DGB war, wie die eingangs erwähnten Statistiken zeigen, nicht einmal in der Lage, ihre eigene AnhängerInnenschaft dazu mobilisieren, ein kleines Kreuz auf ein Stück Papier zu zeichnen!

Die Niederlage bei der Volksbefragung ist aber auch eine Niederlage der Bildungsstreikbewegung. Trotz ihrer Größe und ihrer medialen Resonanz blieb sie größtenteils auf die Forderung nach "Mehr Geld" beschränkt, so dass die Selektion im Bildungssystem und besonders im dreigliedrige Schulsystem kaum thematisiert wurde, als 250.000 Bildungsstreikende auf die Straße gingen.

Was tun? Ganz einfach: liebe Klassenbrüder und -schwestern, die Niederlage der Senatsparteien in Hamburg ist nicht unsere Niederlage, denn das ist auch nicht unsere Demokratie. Wir müssen uns auf unserem Wege erkämpfen, was uns zusteht. Das bedeutet, der Aufbau einer Bewegung gegen die Selektion im Bildungssystem.

Doch eine Bewegung von SchülerInnen und Studierenden wird nicht ausreichen, um diese Forderung durchzusetzen. Die ArbeiterInnenbewegung muss dafür mobilisiert werden. Ein Schritt dahin wäre, dass die BildungsstreikaktivistInnen sich auf die ArbeiterInnen orientieren, und zwar nicht auf die Gewerkschaftsbürokratie sondern auf die Basis.

Wenn es uns gelingt, eine solche Bewegung der ArbeiterInnen, Studierenden und SchülerInnen aufzubauen, würden sich ganz neue Perspektiven eröffnen. Stellen wir uns mal vor: Die Klein- und Großbourgeoisie geht zu den Urnen in Verteidigung ihrer Privilegien? Wir stehen ihnen schon längst im Weg und blockieren auch ihre Märsche! Sie kleben Sticker, taggen? Unsere Sticker und Tags sind flugs darüber! Sie verteidigen ihre "Rechte"? Wir haben schon längst die Betriebe und die Verkehrsbetrieb besetzt!

Allein das zeigt eine Perspektive. Das zeigt, wie dringend wir eine revolutionäre Organisation der ArbeiterInnen und der Jugend brauchen!

//von Alexandrowitsch (Schüler), RIO, Hamburg //23. August 2010

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