„Was ist Faschismus?“

Bericht zu den Veranstaltungen von RIO in Rostock und Berlin

Anlässlich der bundesweiten Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden am 13. Februar wollen wir von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, eine marxistische Analyse des Faschismus und eine revolutionäre Strategie dagegen entwickeln. Zu diesem Zweck haben wir Diskussionsrunden in Rostock (6.2.) und in Berlin (10.2.) veranstaltet, eine weitere Veranstaltung folgt in Dresden (20.2.).

Der Name der Veranstaltungsreihe ließ schon auf unsere Analyse des Faschismus schließen: Faschismus ist keine Meinung, sondern eine kleinbürgerliche Massenbewegung im Interesse des Großkapitals. Demnach besteht die historische Funktion des Faschismus in der Rettung der kapitalistischen Ordnung vor einer sozialistischen Revolution. Ohne die Unterstützung des Kapitals kann der Faschismus nicht an die Macht gelangen. Es ist klar, dass KapitalistInnen die bürgerliche Demokratie als Herrschaftsform bevorzugen, da diese die kapitalistische Ausbeutung am besten verschleiert; In einer tiefen Krise ihres Systems greifen KapitalistInnen aber zur Waffe des Faschismus, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen. Dazu stützen sie sich auf eine Massenbewegung, deren soziale Basis im (ruinierten) KleinbürgerInnentum zu finden ist (was indes nicht heißt, dass ArbeiterInnen keine FaschistInnen sein können).

Rostock

Die Veranstaltung im Rostock, die wir gemeinsam mit dem Linken Block Rostock (LiBRo) organisierten, war trotz geringer Mobilisierungszeit mit mehr als zwanzig TeilnehmerInnen gut besucht. Nach einer kurzen Einführung über den neuesten Stand der Mobilisierung nach Dresden referierte Stefan von RIO über die Entstehung des Faschismus, seine Funktion für kapitalistische Eliten, seine soziale Basis im KleinbürgerInnentum, historische Lehren aus den Kämpfen gegen den Faschismus in Deutschland und Spanien sowie über Strategien gegen Faschismus heute, insbesondere die Taktik der antifaschistischen Einheitsfront mit allen ArbeiterInnenorganisationen. Die anschließende Diskussion drehte sich vor allem um die Frage des Charakters von Gewerkschaften und ob sie für eine Einheitsfront überhaupt zu gebrauchen wären. Stefan von RIO argumentierte, dass Gewerkschaften als Organisationen zur Verteidigung der elementarsten Interessen der ArbeiterInnen im Kampf gegen den Faschismus unverzichtbar sind. Nicht umsonst zerschlugen FaschistInnen in der Vergangenheit zu aller Erst immer die ArbeiterInnenorganisationen, egal wie sehr sich ihre Führungen den FaschistInnen anzupassen versuchten. Zugleich sei es immer nötig, die reformistischen Führungen zu kritisieren und ihre Inkonsequenz im Kampf gegen den Faschismus aufzuzeigen. Dadurch ließen sich ArbeiterInnen radikalisieren und für eine revolutionäre Perspektive gewinnen.

Berlin

Die Veranstaltung in Berlin fand gemeinsam mit der Marxistischen Initiative (MI) statt. Vor einem Publikum von fünfzehn Leuten referierten Tom von RIO und Nick Brauns, Mitglied der MI und „junge Welt“-Autor. Letzterer klärte sehr ausführlich über die Struktur und die Ideologie der heutigen rechten und faschistischen Szene auf. In der Diskussion ging es vor allem um die genaue Bestimmung des Verhältnisses zwischen faschistischer Bewegung und der herrschenden Klasse. Besonderer Wert wurde auf die Unterscheidung des „Faschismus als Bewegung“ und des „Faschismus an der Macht“ gelegt: Ersterer habe eine eigenständige, nationalistisch-rassistische Ideologie und agiere auch (relativ) unabhängig von den kapitalistischen Eliten (wobei auch dort schon Teile der KapitalistInnen und des Staatsapparates faschistische Gruppen unterstützten). In einer für das Kapital ausweglosen Situation werde diese faschistische Bewegung immer stärker von der herrschenden Klasse unterstützt und schließlich an die Macht gebracht, um die ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen. Der aggressive Militarismus der FaschistInnen an der Macht habe dabei weitere Vorteile für das Großkapital, indem er die Rüstungsindustrie ankurbele sowie Rohstoffe und Absatzmärkte erobere. „Ich habe mich mit dem Thema Faschismus noch nie wirklich auseinander gesetzt, besonders aus der für mich doch sehr interessanten marxistischen Perspektive“ meinte ein junger Aktivist der Berliner Antifa-Szene, der gleich einen RIO-Reader mit Texten von Leo Trotzki mitnahm.

Dresden

Die Veranstaltung in Dresden fand im "AZ Conny" in der Dresdner Neustadt statt, unweit vom Versammlungsort der Nazis. Einige Spuren der Straßenkämpfe in der Woche davor waren noch zu sehen, z.B. ausgebrannte Mülltonnen. In einem Einleitungsreferat erzählte Wladek von RIO über die historischen Lehren aus den Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung in Deutschland und Spanien gegen den Faschismus. In der Diskussion wurde erklärt, dass das Kleinbürgertum nicht im engsten Sinn (als kleine BesitzerInnen von Produktionsmitteln) verstanden werden darf, sondern mannigfaltige soziale Schichten zwischen Proletariat und Bourgeoisie umfasst. Nur das erklärt, warum eine kleinbürgerliche Bewegung wie der Faschismus in bestimmten Situationen Massencharakter annehmen kann. Anschließend ging es darum, wie eine faschistische Bewegung heute aussehen könnte. Sie müsste nicht zwangsläufig antisemitisch sein, denn Teile der Nazibewegung setzen auf Islamophobie als eine massenwirksamere Ideologie.

Mehrere VeranstaltungsteilnehmerInnen diskutierten über ihre Erfahrungen mit ArbeitskollegInnen: ein Krankenpfleger erzählte, dass viele Beschäftigte aus seinem Krankenhaus, einschließlich ÄrztInnen in weißen Kitteln, an der Blockade am Albertplatz teilnahmen. Dagegen berichtete eine FSJlerin, dass mehrere ihrer KollegInnen die BlockiererInnen alle für "gefährliche Chaoten" hielten. In der Diskussion ging es darum, wie wenig politisierte ArbeiterInnen für den antifaschistischen Kampf gewonnen werden könnten. Der Erfolg der Blockaden machte die Möglichkeit und die Notwendigkeit von Massenaktionen deutlich – aber leider hielt sich die radikale Linke mit ihrer Kritik an ihren sozialdemokratischen BündnispartnerInnen (von SPD, Linkspartei und Gewerkschaften), die die soziale Misere mitverwalten, auffällig zurück. Wir denken, dass wir breite Bündnisse von allen vom Faschismus gefährdeten Menschen und Organisationen brauchen, aber auch, dass wir diese Bündnisse nutzen sollten, um unsere Kritik an reformistischen BündnispartnerInnen zu formulieren und eine revolutionäre Alternative aufzubauen.

//von Stefan, RIO, Berlin //22. Februar 2010


junge Welt
RIO • Revolutionäre Internationalistische Organisation • www.revolution.de.com • info[ät]revolution.de.com • (c)opyleft